Steinzeug der Renaissance

Comics auf Raerener Krügen

In der zweiten Hälfte des 16. Jh. gelang den Raerener Töpfern eine revolutionäre technische Formvariante. Aus den bisher kugeligen Krugformen entwickelten sie eine architektonisch streng gegliederte Form. Diese wies von unten nach oben einen Fuß, einen zylindrischen Mittelteil, eine Schulter und einen Hals auf.

Der zylindrische Mittelteil ermöglichte es, statt der bisherigen Wappen und Medaillons nun auch Bildfriese aufzulegen. Diese erzählten in der Form der heutigen Comics, mithilfe von Bild und Text, ganze Geschichten. Religiöse und profane Motive dienten zur Unterhaltung des Nutzers und machten das Raerener Steinzeug noch beliebter.

Wenn die Bauern tanzen

Eines der beliebtesten Motive auf Raerener Krügen des 16. Jh. ist der Bauerntanz. Dieses Motiv kommt auch in der Malerei dieser Zeit häufig vor und entspringt eigentlich der sich ändernden Gesellschaftsordnung. Gleichzeitig wirft es ein interessantes Bild auf die damaligen Feste und Feiern. Die Vorlagen zum Raerener Bauerntanz, den es in mehr als 30 Varianten gibt, stammen aus einer Kupferstichserie des Nürnberger Kleinmeisters Hans Sebald Beham (1500-1550).

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Der häufigste Text auf den Bauerntanzkrügen lautet:
GERET DU MUS DAPER BLASEN
SO DANSSEN DIE BUREN ALS WEREN SI RASEN
FRI UF SPRICHT BASTOR
ICH VERDANS DI KAP MIT EN KOR:
Gerhard, du musst tapfer blasen, so tanzen die Bauern, als wären sie rasend. Frisch auf, spricht der Pastor, ich vertanze die Kappe, das Amict (Schultertuch) und den Chormantel.


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Susanna, Judith und das Christkind

Viele Motive auf Raerener Bildfriesen sind auch religiöser Natur. Eines der beliebtesten war sicherlich die Geschichte der keuschen Jungfrau Susanna aus dem alten Testament. Auch andere religiöse Motive entstammen dem Alten Testament, wie zum Beispiel die Geschichte der Judith. Aus dem Neuen Testament sind ebenfalls Motive verwendet worden, so die Enthauptung des Johannes oder die Geschichte der Geburt Christi. Alle diese religiösen Motive waren der Bevölkerung geläufig und dienten der Volksfrömmigkeit, auch beim Essen und Trinken.

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Politische Propaganda

Die Raerener Töpfer bildeten nicht nur religiöse, sondern auch profane Motive auf ihren Krügen ab. Dazu gehören Szenen aus der griechischen und römischen Mythologie. Auch Landsknechte, die Soldaten des 30-jährigen Krieges, Wappen und Personen der Weltgeschichte waren beliebt. Ebenso gab es rein dekorative geometrische oder florale Muster. Teilweise dienten diese Krüge auch der politischen Propaganda, beispielsweise die Friese mit Darstellung der Kurfürsten oder anderer europäischer Herrscher.
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Neue Farben

Wenn man während des Steinzeugbrandes keinen Sauerstoff in den Ofen lässt, wird die Keramik grau statt braun. Dies liegt an den Eisenoxiden im Ton, die nur durch ihre Reaktion mit Sauerstoff eine Braunfärbung ergeben.
Raerener Töpfer entdeckten dies gegen Ende des 16. Jh. und bemalten ihre Gefäße vor dem Brand mit Kobalt. Dies ergab eine gezielte graublaue Färbung, die für das Steinzeug vollkommen neu war.

Wenig später nahmen ausgewanderte Töpfer diese Technik mit in den Westerwald, wo graublaues Steinzeug bis heute hergestellt wird. Da diese Töpfer auch dort im bisherigen Stil weiter produzierten, ist Raerener und Westerwälder Steinzeug vom Ende des 16. Jh. und Anfang des 17. Jh. kaum voneinander zu unterscheiden.
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Bärtige Männer

Seit jeher stellt der Mensch sich selbst künstlerisch dar. Dies gilt auch für die Töpfer, die in Raeren bereits im 15. Jh. sogenannte Gesichtskrüge herstellten. Dabei dient der Krug als Kopf, in den die Gesichtszüge eingeritzt und einmodelliert sind. Im 16. Jh. übernahmen Frechener Töpfer die Idee und stellten als Auflage sogenannte Bartmänner her. Diese waren vor allem in England sehr beliebt. Auch die Raerener Töpfer fertigten solche Bartmannskrüge in hoher Stückzahl. Ab dem 17. Jh. verändert sich die Bartmannsmaske in Tier- und Teufelsfratzen, sogenannte Grotesken.

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Haust du mich, so stech ich dich...

Mehr als 700 verschiedene Inschriften sind von Raerener Steinzeug bekannt. Dabei handelt es sich um Erläuterungen oder Ergänzungen zu den Bildern. Auch religiöse, profane oder gar recht derbe Sinn- und Trinksprüche sind häufig darunter. Die Texte sind in altdeutsch, altniederländisch oder auch in lateinisch abgefasst.

Vor allem Ian Emens Mennicken ließ offensichtlich bei der Arbeit seine Gedanken schweifen und hielt sie in seinen Auflagen für die Nachwelt fest:

  • Aus diesem Töpfchen soll (oder wird) man trinken und dabei Gottes gedenken. Die ist eine Kunst, die kommt aus Gottes Gunst.
  • Trinkt frei einen großen Zug ohne Furcht, dann mag man sehen, dass ihr an der Kanne gewesen seid.
  • Der Becher (oder der Pisser?) und die Kanne haben mich zu einem armen Mann gemacht; wie ich nichts mehr habe, so muss ich sie lassen.
  • Haust du mich, so stech ich dich! Wer will halten seine Haut ganz, der lass den Bauern ihren Tanz.

 

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Medaillon mit Darstellung eines Musketiers und der Umschrift:
„Gelderlos bin ich allzeit: das müssen die wissen, die dies lesen.
Ich bin ein Held, ich habe den Beutel ohne Geld.“